Freihandel: Die nächste „Klappe“?
China überrascht mit weiteren Handelsinitiativen, schreibt Peter Tichauer, Chefredakteur von ChinaContact. Die Welt fordert immer wieder von China, mehr Verantwortung in der globalen Entwicklung zu übernehmen. Macht es das mit eigenen Vorschlägen, reagiert die Welt mit Vorbehalten. So auch, als China mit konkreten Vorschlägen für mehr freien Handel und regionale wirtschaftliche Entwicklung auf dem APEC-Gipfel im November 2014 aufwartete.
Eigentlich gab es einmal die Idee, innerhalb der Welthandelsorganisation ein einziges Regelwerk für die Liberalisierung des globalen Handels zu schaffen. Im Rahmen der „Doha-Runde“ sollte dies geschehen. Die Verhandlungen treten jedoch seit Jahren auf der Stelle. Eine Einigkeit scheint nicht in Sicht, auch wenn im November des vergangenen Jahres auf der Bali-Konferenz in bestimmten Fragen eine Annäherung erreicht wurde. Der Durchbruch war es jedoch nicht. Stattdessen werden munter bilaterale und überregionale Freihandelsabkommen verhandelt.
Im Westen ist es die Transatlantische Partnerschaft TTIP – „die letzte Chance“, so Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf der Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft im November in Ho-Chi-Minh-Stadt, „dass Europa und Amerika für den globalen Handel Standards setzen können“. Im Osten wird eine Transpazifische Partnerschaft TPP angestrebt, die die USA mit wichtigen Märkten in Ost- und Südostasien sowie im Pazifik-Raum verbinden soll. China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist dabei – zunächst – ausgeschlossen.
Seit 2010 ist das Land jedoch mit den ASEAN-Ländern in einer Freihandelszone vereint. Angestrebt wird, diese mit Japan und Korea zu „ASEAN plus drei“ zu erweitern, selbst Indien, Australien und Neuseeland sollen früher oder später eingebunden werden und so eine „regionale Wirtschaftspartnerschaft“ (RCEP) entstehen. In der ASEAN sollen in diesem Jahr die meisten Handelsschranken fallen. Auf der bilateralen Ebene hat China gerade mit Australien und Korea den Weg für den Freihandel geebnet. Japan, Korea und China verhandeln darüber hinaus über eine mögliche trilaterale Freihandelszone, wobei die Gespräche aufgrund der seit einigen Jahren anhaltenden territorialen Differenzen derzeit wenig Erfolg versprechen.
Nicht zu vergessen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Korea, das im September 2013 in Kraft trat. Auch mit Vietnam verhandeln die Europäer über Freihandel. Das würde China gern auch, allerdings ist für die EU China nach wie vor keine anerkannte Marktwirtschaft – aus europäischer Sicht eine Voraussetzung für Freihandelsverhandlungen.
Einen Schritt sind beide Seiten inzwischen gegangen: Sie verhandeln über ein bilaterales Investitionsabkommen, das, so die chinesische Erwartung, der Einstieg zu Verhandlungen über Freihandel sein könnte. Sie verweisen unter anderem auf das im Sommer 2014 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit der Schweiz, nach Island das zweite mit einem europäischen Land und das erste mit einem Land Kontinentaleuropas. Aus chinesischer Sicht kann dieses Abkommen für ein europäisch-chinesisches Freihandelsabkommen beispielhaft sein. Und 2016 wird dann China von der EU laut WTO-Vereinbarung automatisch als Marktwirtschaft anerkannt, sollte es bis dahin noch nicht geschehen sein
Neuer Vorstoß. Im Freihandelspoker hat China auf dem Gipfel der APEC-Länder Anfang November 2014 nun einen weiteren Coup gelandet. Staatspräsident Xi Jinping schlug den versammelten Staatsoberhäuptern eine Asiatisch-Pazifische Freihandelszone (FTAAP) vor. Damit könnten, so Xis Vorstellung, TPP und die „regionale Wirtschaftspartnerschaft“ im Südpazifik unter ein Dach gebracht werden, selbstverständlich ohne Vormachtstellung der USA. Der Vorschlag ist vor allem auch damit motiviert, dass China bei der Entwicklung des regionalen und globalen Handels nicht wie bei TPP derzeit noch außen vor gelassen wird, sondern entscheidend mitreden kann. Eigentlich habe Xi Jinping die „frühere APEC-Agenda der Amerikaner aus der Schublade geholt“ schätzt Mikko Huotari, Programmleiter Außenpolitik und Außenwirtschaft beim Berliner Mercator-Institut für China-Studien MERICS, ein.
Dennoch sieht er das Konzept, dem gerade die kleineren Länder in der Region offen gegenüberstehen, als eine „langfristige Vision“, als einen zweiten Schritt nach der transpazifischen Partnerschaft, die für 2016 angestrebt wird. Und es ist noch nicht ausgemacht, ob China nicht doch noch das Tor zu TPP geöffnet wird. Bemerkenswert ist der chinesische Vorschlag in jedem Fall. Zeigt er sehr deutlich, dass China gewillt ist, seine wirtschaftliche Stärke, die trotz zuletzt geringeren Wachstumszahlen nach wie vor ihresgleichen sucht, stärker zu nutzen, um regional und global ein Wort mitzureden, ob es den bisher dominierenden Wirtschaftsmächten passt oder nicht. Das wird auch in weiteren rund um den APEC-Gipfel gemachten chinesischen Initiativen deutlich, die laut Mikko Huotari schneller als die APEC-Freihandelszone Bedeutung haben werden und die bisher als gegeben erachtete Strukturen verändern könnten.
Geld für die Infrastruktur. Die Gründung einer Asiatischen Infrastrukturbank (AIIB) zum Beispiel, ein schon ein Jahr alter Vorschlag, der auf der im Vorfeld des Gipfels tagenden APEC-Finanzminister-Konferenz beschlossen wurde. Begründet wird das mit dem Bedarf am Ausbau der Infrastruktur in der asiatisch-pazifischen Region als Voraussetzung für weiteres Wirtschaftswachstum.
Die Asiatische Entwicklungsbank beziffert diesen Bedarf in den kommenden fünf bis zehn Jahren mit 8.000 Milliarden US-Dollar. Mehr als 20 Länder gehören zu den Gründungsmitgliedern der AIIB, darunter neben China die Mongolei, Kasachstan, Usbekistan, Indien, Bangladesch, Nepal, Sri Lanka, Pakistan, Brunei Darussalam, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Singapur, Thailand, die Philippinen und Vietnam, seit Kurzem auch Neuseeland. Es wird davon ausgegangen, dass sie 50 Milliarden US-Dollar als Startkapital in die Bank einbringen. Inzwischen haben weitere Länder, darunter Großbritannien, Frankreich, Italien und die Schweiz angekündigt, der Bank beitreten zu wollen.
Nach Angaben der Gründer sieht sich die Bank nicht als Konkurrent, sondern als Ergänzung zur Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), zu Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds. So sieht es auch ADB-Präsident Takehiko Nakao, der am APEC-Finanzministertreffen in Peking teilnahm. Mit der AIIB-Gründung biete sich angesichts des großen Bedarfs an Infrastrukturinvestitionen in Asien eine willkommene Finanzierungsalternative. Er verwies auf den Schwerpunkt der Tätigkeit der ADB: Armutsbekämpfung und im Umweltschutz. Takehiko Nakao erwartet von der AIIB, dass sie im Einklang mit den internationalen Normen tätig sein wird und erklärte die Bereitschaft der ADB zur Kooperation, sobald die Bank vollständig etabliert ist.
„Eine offene Kreditvergabepraxis und transparente Strukturen, die den internationalen Regeln entsprechen“ sind auch für Mikko Huotari vom MERICS-Institut entscheidende Voraussetzungen für den Erfolg der Bank, die nicht von vornherein abgelehnt werden sollte. „Selbst wenn die Standards erst einmal niedriger sind, müssen wir der Bank einen Lernprozess zugestehen“, sagt er und verweist darauf, dass beim Aufbau der AIIB explizit auch auf Erfahrungen der Europäischen Infrastrukturbank EIB zurückgegriffen werde. In den zunächst ablehnenden europäischen Reaktionen gegenüber der Bank macht Mikko Huotari einen gewissen „Konkurrenz-Gedanken“ aus. Er spricht von einem „überholten globalen Multilateralismus“, der in Europa, das ja über eine eigene Infrastrukturbank verfüge, noch zu stark ausgeprägt ist.
Die Europäer sollten dagegen die Chance nutzen und dem Aufbau der AIIB beratend zur Seite stehen. Dies sei im Interesse Deutschlands, denn die „Neugestaltung der Weltordnung“ sei eine Tatsache, die nicht ignoriert werden dürfe. Dazu gehöre auch die Rolle, die Zentral- und Westasien als Brücke zwischen China und Europa in Zukunft spielen werden. Für China heißt dies die Wiederbelebung der alten Seidenstraße – zu Lande und zu Wasser. Auch hier geht es in erster Linie um den Ausbau der Infrastruktur, bei dem China – durchaus im eigenen Interesse – ein deutliches Wort mitreden will. Auf dem APEC-Gipfel hat China angekündigt, dafür den „Seidenstraßen-Fonds“ zu bilden, den das Land mit 40 Milliarden US-Dollar speist, eine Initiative, die zumindest bei den asiatischen APEC-Ländern auf ein positives Echo stieß.
Neue Finanzinstrumente bringen Vertrauen. Die von China initiierten neuen Finanzinstrumente sollten nicht nur auf den Willen des Landes reduziert werden, in der globalen Entwicklung mehr mitreden zu wollen, sondern auch als vertrauensbildende Maßnahmen gesehen werden. Denn immer wieder gibt es Vorbehalte gegen chinesisches Engagement im Ausland, insbesondere im Infrastrukturbereich. Mexiko hat beispielsweise Ende des vergangenen Jahres die Vergabe des Baus einer Hochgeschwindigkeitsstrecke an ein chinageführtes Konsortium wieder rückgängig gemacht.
In Erinnerung sind noch die Diskussionen um die Vergabe des Baus eines Autobahnabschnittes in Polen an ein chinesisches Unternehmen. In Europa wird immer wieder vorgebracht, China ermögliche mit nicht marktgerechten Krediten der EXIM- und der China Development Bank Dumping-Angebote chinesischer Unternehmen. Mikko Huotari spricht von einem „Wettkampf um Exportfinanzierung“ und verweist darauf, dass Deutschland und die USA ähnliche Praktiken hätten, um ihre Unternehmen im Auslandsgeschäft zu unterstützen. Unterschiede gebe es aber: „Die chinesischen Kreditgeber ‚treiben’ die Unternehmen raus und stellen keine politischen Forderungen.“
Hinweis der Redaktion: Der Autor ist Peter Tichauer, Chefredakteur von ChinaContact. Der Bericht erschien in GlobalContact.
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